Luxus ohne Richtung -

wohin steuert Mercedes?

Marina Kurz | 07.04.2025

Mercedes-Benz war schon immer mehr als nur eine Automarke. In der Vergangen-heit stand das Unternehmen für deutsche Ingenieurskunst, für Weitblick, für Mut zur Zukunft. Da standen Wasserstoff-Fahrzeuge auf Messen, Solarmobile rollten durch die Schlagzeilen, und Visionen wurden Realität – nicht irgendwann, sondern hier und jetzt. Die Vision? Groß. Der Mut? Spürbar. Und der Vorstand? Der Vorstand dachte damals in Jahrzehnten, nicht in Quartalen. Er investierte in Ideen, lange bevor daraus Produkte wurden. Risiko war kein Schreckgespenst, sondern Teil des Fortschritts. Geprägt von der Tradition zu Land, zu Wasser, zu Luft. Dabei waren die Vorstandgehälter noch nicht so astronomisch wie heute. 

 

Damals ging es nicht nur um Zahlen, sondern um Substanz. Forschung durfte frei atmen, Neues durfte wachsen. Und heute? Steht vieles auf dem Prüfstand, was das Unter-nehmen einmal ausgemacht hat. Die Wende kam schleichend – und doch mit Wucht. Statt Pionier zu sein, wurde man „Fast Follower“.

Ab den 2000er Jahren verschob sich der Fokus. Kurzfristige Gewinne und Shareholder Value wurden zum neuen Mantra, schnelle Rendite zum Maß aller Dinge. Ehemals unabhängige Forschungsbereiche wurden in die PKW-Entwicklung integriert. Dabei dominierten weiterhin bewährte, aber längst veraltete Konzepte. Es zählten Quartals-zahlen, nicht mehr die große Linie. Was einst mutig begann, wurde effizient zerlegt: Outsourcing, Effizienzprogramme, Einsparrunden. Immer mehr, immer schneller, immer flacher. Und die Beschäftigten mittendrin – gefordert, oft überfordert, selten gefragt. Der Vorstand fragte nicht mehr: "Was brauchen unsere Kunden in zehn Jahren?", sondern: "Bringt das jetzt Geld?" 

Die Zahlen stimmten eine Zeit lang und gaben der eingeschlagenen neuen Richtung vermeintlich recht. Aber zu welchem Preis? Heute spüren es alle: Der Stern hat an Strahl-kraft verloren. Die einstige Vorreiterrolle in der Automobilwelt ist längst anderen überlassen - an Tesla, asiatischen Herstellern, Digital Playern. Sie setzen auf Tempo, Wandel, Charakter. Und Mercedes? Ein Produktportfolio, das viele nicht mehr emotional erreicht. Modelle, die technisch top sind, aber kalt wirken. Zu glatt. Zu perfekt. Zu wenig Seele. Das Unternehmen versucht aufzuholen und feilt am Altbewährten, doch echte Zukunft wird längst anderswo geschrieben. 

„Electric First“, „Luxusstrategie“, „Electric Only“ – und dann wieder der Rückwärtsgang. Was bleibt, ist ein Wirrwarr aus Schlagworten, das mehr Verwirrung stiftet als Orientierung bietet. Motivation? Kaum möglich, wenn Innovationsgeist durch Sparzwang ersetzt wird. Statt Aufbruch gibt’s Abbau – gestrichen, verlagert, verunsichert. Indien und China werden vom Vorstand bejubelt, während man die eigene Belegschaft hingegen öffentlich abwertet, als wäre sie Teil des Problems – nicht Teil der Lösung. Internes Knowhow wird leichtfertig verspielt. Wissen wandert ab, Vertrauen schwindet. Und das Bitterste: Nicht nur Ideen gehen verloren, sondern die Menschen, die den Erfolg tragen könnten, werden übersehen – oder bewusst übergangen.“

Was macht Mercedes noch aus, wenn immer mehr ausgelagert wird und die Antwort auf jede Krise Sparprogramme, Stellenabbau und Outsourcing heißt? Aktuell steht mit Next Level Performance das nächste Sparprogramm vor der Tür. Ende April erhalten zig-tausende Beschäftigte ein Abfindungsangebot. Alternativ winken Frühpensionierung oder Altersteilzeit. Ein großer Einschnitt – nicht nur in die Struktur, sondern auch ins Vertrauen. Produktion und Entwicklung sollen zunehmend verlagert werden – und mit ihnen das Gefühl, gebraucht zu werden. Wer bleibt, spürt den Druck: schneller, besser, billiger. Doch Motivation entsteht nicht durch Angst, sondern durch Sinn. 

Ist es schon zu spät? Ich glaube: Nein. Noch gibt es Herz, Hirn und Haltung in dieser Belegschaft. Die Beschäftigten tragen das Wissen, die Erfahrung und die Leidenschaft in sich, die diesen Konzern einst groß gemacht haben. Und sie haben ein Recht auf eine klare, unerschrockene, zukunftsfähige Strategie. Eine, die nicht nur auf Rendite schaut, sondern auf das, was Mercedes wirklich ausmacht: Qualität, Charakter, Innovation. Was dringend gebraucht wird, ist Mut und Vertrauen und eine Führung, die nicht nur rechnet, sondern inspiriert. Eine Kultur, die Innovation wieder zulässt und auch mal eine Idee reifen lässt, anstatt sie nach der ersten Herausforderung zu kippen. Denn eines ist sicher: Der Stern auf der Motorhaube hat immer auch für Stolz gestanden. Für das Gefühl, Teil von etwas ganz Großem zu sein.